Geschichtsverein Sydekum

Am 27.01.1945 erreichte die Rote Armee Auschwitz und befreite nur noch etwa 7.000 Menschen aus den Stätten des unvorstellbaren Leids. Auf der Erkenntnis, dass rund 6 Mio. Jüdinnen und Juden dem Vernichtungswahn zum Opfer gefallen sind, sind allein dort 1.1 bis 1.5 Mio. Menschen umgekommen, davon ca. 90 % Menschen jüdischen Glaubens. Der Umkehrschluss bedeutet jedoch, dass der deutlich überwie- gende Teil nicht in Auschwitz getötet wurde, sondern bei Massenerschießungen irgendwo im Osten, in Ghettos an Krankheit und Unterernährung, oder in den speziellen Vernichtungslagern verstorben ist. Hierbei spielten die im heutigen Polen liegenden Orte wie Belzec, Sobibor und Treblinka eine maßgebliche Rolle. Die in Viehwagen zusammengepferchten Menschen wurden als halbtote Fracht an den Rampen entladen und nach Beraubung und Entkleidung direkt in die Gaskammern getrieben. Ab etwa 1943 sollten die Spuren des Verbrechens weitestgehend beseitigt werden, so hat sich die in vielen tausend Abbildungen im kollektiven Gedächtnis verankerte Lagerar- chitektur, wie etwa von Auschwitz-Birkenau oder Maidanek, bis auf geringe Spuren dort nicht erhalten. Gedenken an der Stele Die Stadt Hann. Münden, der Verein „Erinnerung & Mahnung“, sowie der Heimat- und Geschichtsverein Sydekum laden ab 18 Uhr zum Gedenken an der Stele an der Südseite des Rathauses ein. Erinnert wird insbesondere an Frieda Wertheim: 1877 In Münden geboren, geflohen nach Köln, weiter geflüchtet nach Amsterdam, dort aufgegriffen und nachfolgend über das KZ Westerbork in das Vernichtungs- lager Sobibor deportiert und dort 1943 getötet. Spurensuche in Polen Im Sommer 2022 begab sich Archivar Stefan Schäfer mit dem befreundeten Hans-Joachim Meyer im Rahmen einer organisierten Fahrt auf Spurensuche ins heutige Ostpolen. Wie kann man an diesen Orten heute gedenken oder ist es nicht an der Zeit, sprichwörtlich Gras über die Geschichte wachsen zu lassen? Was kann man an Originalschauplätzen erfahren und dazulernen? Wie geht man in Polen mit der Geschichte um? Fragen, um deren Beantwortung Stefan Schäfer zu einem Bildvortrag ab ca. 18:30 Uhr in den Rittersaal des Welfenschlos- ses einlädt. „Auch wenn einen die persönliche Verantwortung nicht trifft, so kann Geschichte nicht einfach abgelegt, geleugnet und nach der jeweils passenden Fasson umgedeutet werden. Es ist auch unehrlich von Deutschen, Juden und Polen zu sprechen und diesen jeweils die Täter- oder Opferrolle pauschal zuzuschreiben. Geschichte braucht Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Das monströse Verbrechen ging von Deutschland aus, es war 1933 für die wenigsten Menschen vorhersehbar und fand seinen Abschluss in einen Weltkrieg, der 1945 endete. Die Befreiung von Auschwitz vor 78 Jahren ist ein wichtiger Teil davon“, so Schäfer.
Am 06.04.2017 referierte unser Mitglied Holger Gruber (Stuttgart) in seinem Vortrag „Neues vom alten Rathaus“ über jenes Gebäude, das wiederholt einer umfassenden Sanierung unterzogen werden musste. Abseits der häufig wiederholten Betrachtung des Gebäudes im kunst- und baugeschichtlichen Kontext der Weserrenaissance, standen archivarische Quellen und regelmäßige Besuche der Baustelle im Vordergrund. Sicher entkräftet werden konnte die häufig wiederholte Einschätzung, dass die Erweiterung des Rathauses über den gotischen Kernbau hinaus, auf bislang unbebautem Grund stattgefunden hatte. Ganz besonders augenscheinlich wurde dieses anhand des durchgehenden Mauerwerks belegt, das sich an der Nordfassade im unteren Drittel ohne Baufuge in Richtung Ratsstube durchzieht. Die ab Sommer 1975 begonnene Neuverputzung des Rathauses hat die bis dato rund 90 Jahre währende Steinsichtigkeit und die heutige Nach- vollziehbarkeit am Bauwerk beseitigt. Ein weiterer wichtiger Beleg für die vorherige Bebauung des für den Rathausumbau benötigten Baugrunds findet sich deutlich im Baukostenbuch. Im Jahre 1603 wurden recht hohe Lohnkosten für den Abbruch der alten Gebäude und des Ausheben der Baugrube für die neuen Kellergewölbe zur heutigen Lotzestraße verausgabt. Abgebrochen wurde auch die dortige Trinkstube des Rates. Was war aber das Hauptmotiv für den Bau des neuen Rathauses? Ein Schlüsselbeleg ist, dass das Baukostenbuch nicht den Bau des Rat- hauses bezeichnet, sondern den eines Hochzeitshauses. Das ausgehende 16. Jahrhundert bot einer städtischen Oberschicht, einem vor allen aus dem Handel gespeisten Reichtum. Standesgemäße Eheschließungen sollten diesen Wohlstand repräsentieren, doch arteten die Feier- lichkeiten bisweilen tumultartig aus. So schleppten Kinder und weniger Begüterte Speisen und Getränke nach Hause. Diesem und anderen Sittenverfall versuchte man, vor allem nach einer Rüge des gesamten Rates durch die herzogliche Regierung, mit einem, auch den Reichtum und das wachsende Selbstbewusstsein des Rates ausdrückenden Baues eines neuen Hochzeitshauses und dem Erlass einer strengeren Hochzeitsordnung gerecht zu werden. Von Friedrich Weitmann zu Georg Grossmann Hinsichtlich des Baues vertraute sich der Rat zunächst Friedrich Weitmann an. Unter seiner Regie und unter Anwerbung von Maurern aus dem Voigtland wurde der Rathausumbau in Angriff genommen und in großen Teilen bis 1603 mit dem Richtfest abgeschlossen. Dann trat Georg Grossmann (auch Crossmann), in heutiger Sprache ausgedrückt, als Architekt, Bauleiter und Generalunternehmer für den Weiterbau auf. Ihm und seinem Sohn wird die Neugestaltung der Nordfassade mit den Schmuckgiebeln zugeschrieben. Wenn auch die genauen Hinter- gründe der Neukonzeption des Baues sich nicht erschließen lassen, so waren die Folgen unmittelbar nach der Fertigstellung und auch in jüngster Zeit noch spürbar. Auch wenn das Baukostenbuch 1609 geschlossen wurde, sind noch erhebliche Kosten in den Kämmerei-rechnun- gen der Folgejahre zu finden. Schon 1610 wurde das Tanzen im Hochzeitshaus in der oberen Halle verboten. Grund waren fehlende Stützen in beiden Rathaushallen. 1619 wurden die beiden Hallen mit dem Ein-zug zusätzlicher Stützen statisch gesichert. Vor allem wurden die Lasten des komplexen Dachstuhls bis in jüngste Zeit nicht hinreichend auf das Mauer- werk und die Stützkonstruktionen abgeleitet. Grossmann stellte dem ursprünglich geplanten durchgehenden breiten Satteldach, ein nördliches Quer- dach mit den fünf Zwerchhäusern gegenüber. 1724 stürzte der mittlere Zier- giebel, samt seiner Figur auf Marktplatz und dem Altan, den die Mündener als „die Grad“ bezeichneten. Neben den der Umgestaltung geschuldeten statischen Kinderkrankheiten, gab es eine Fülle von Umbauten und An-passungen an ge- änderte Nutzungsanforderungen, die fast jeder Generation erhebliche Auf- wendungen für den baulichen Unterhalt und die Sanierungen abforderten. IBilder: Die allegorische Figur „Glaube“ vom Mittelgiebel der Nordfassade. Das Bild der Sanierung des Jahres 1975 demonstriert Handlungsbedarf. „RPR 1724“ deutet auf den Einsturz und den Wiederaufbau des Giebels in diesem Jahr hin. Böse Zungen könnten meinen: „1724 war der Glaube vom Rathaus abgefallen.“ Fotos: Gruber, Stadtarchiv Text: Stefan Schäfer, Stadtarchivar
Geschichtsverein Sydekum

Aktuelles Vorhaben

Gedenkveranstaltung zum Holocaustgedenktag am Fr 27. Jan.2023, 18 Uhr und anschl. ca. 18:30 Lichtbildervortrag Eine Gemeinschaftsveranstaltung der Stadt Hann. Münden mit den Verei- nen Erinnerung und Mahnung e.V. und Heimat- und Geschichtsverein Sydekum.
Am 27.01.1945 erreichte die Rote Armee Auschwitz und befreite nur noch etwa 7.000 Menschen aus den Stätten des unvorstellbaren Leids. Auf der Erkenntnis, dass rund 6 Mio. Jüdinnen und Juden dem Vernichtungswahn zum Opfer gefallen sind, sind allein dort 1.1 bis 1.5 Mio. Menschen umgekommen, davon ca. 90 % Menschen jüdi- schen Glaubens. Der Umkehrschluss bedeutet jedoch, dass der deutlich überwiegende Teil nicht in Auschwitz getötet wurde, son- dern bei Massenerschießungen irgendwo im Osten, in Ghettos an Krankheit und Unterernährung, oder in den speziellen Vernich- tungslagern verstorben ist. Hierbei spielten die im heutigen Polen liegenden Orte wie Belzec, Sobibor und Treblinka eine maßgebliche Rolle. Die in Viehwagen zusammengepferchten Menschen wurden als halbtote Fracht an den Rampen entladen und nach Beraubung und Entkleidung direkt in die Gaskammern getrieben. Ab etwa 1943 sollten die Spuren des Verbrechens weitestgehend beseitigt werden, so hat sich die in vielen tausend Abbildungen im kollektiven Gedächtnis verankerte Lagerarchitektur, wie etwa von Auschwitz- Birkenau oder Maidanek, bis auf geringe Spuren dort nicht erhalten. Gedenken an der Stele Die Stadt Hann. Münden, der Verein „Erinnerung & Mahnung“, sowie der Heimat- und Geschichtsverein Sydekum laden ab 18 Uhr zum Gedenken an der Stele an der Südseite des Rathauses ein. Erinnert wird insbesondere an Frieda Wertheim: 1877 In Münden geboren, geflohen nach Köln, weiter geflüchtet nach Amsterdam, dort aufge- griffen und nachfolgend über das KZ Westerbork in das Vernich- tungslager Sobibor deportiert und dort 1943 getötet. Spurensuche in Polen Im Sommer 2022 begab sich Archivar Stefan Schäfer mit dem befreundeten Hans-Joachim Meyer im Rahmen einer organisierten Fahrt auf Spurensuche ins heutige Ostpolen. Wie kann man an die- sen Orten heute gedenken oder ist es nicht an der Zeit, sprichwört- lich Gras über die Geschichte wachsen zu lassen? Was kann man an Originalschauplätzen erfahren und dazulernen? Wie geht man in Polen mit der Geschichte um? Fragen, um deren Beantwortung Ste- fan Schäfer zu einem Bildvortrag ab ca. 18:30 Uhr in den Rittersaal des Welfenschlosses einlädt. „Auch wenn einen die persönliche Ver- antwortung nicht trifft, so kann Geschichte nicht einfach abgelegt, geleugnet und nach der jeweils passenden Fasson umgedeutet wer- den. Es ist auch unehrlich von Deutschen, Juden und Polen zu sprechen und diesen jeweils die Täter- oder Opferrolle pauschal zuzuschreiben. Geschichte braucht Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Das monströse Verbrechen ging von Deutschland aus, es war 1933 für die wenigsten Menschen vorhersehbar und fand seinen Abschluss in einen Weltkrieg, der 1945 endete. Die Befreiung von Auschwitz vor 78 Jahren ist ein wichtiger Teil davon“, so Schäfer.
Am 06.04.2017 referierte unser Mitglied Holger Gruber (Stuttgart) in seinem Vortrag „Neues vom alten Rathaus“ über jenes Gebäude, das wiederholt einer umfassenden Sanierung unterzogen werden musste. Abseits der häufig wiederholten Betrachtung des Gebäudes im kunst- und baugeschichtlichen Kontext der Weserrenaissance, standen archivarische Quellen und regelmäßige Besuche der Baustelle im Vordergrund. Sicher entkräftet werden konnte die häufig wiederholte Einschätzung, dass die Erweiterung des Rathauses über den gotischen Kernbau hinaus, auf bislang unbebautem Grund stattgefunden hatte. Ganz besonders augenscheinlich wurde dieses anhand des durchgehenden Mauerwerks belegt, das sich an der Nordfassade im unteren Drittel ohne Baufuge in Richtung Ratsstube durchzieht. Die ab Sommer 1975 begonnene Neuverputzung des Rathauses hat die bis dato rund 90 Jahre währende Steinsichtigkeit und die heutige Nach- vollziehbarkeit am Bauwerk beseitigt. Ein weiterer wichtiger Beleg für die vorherige Bebauung des für den Rathausumbau benötigten Baugrunds findet sich deutlich im Baukostenbuch. Im Jahre 1603 wurden recht hohe Lohnkosten für den Abbruch der alten Gebäude und des Ausheben der Baugrube für die neuen Kellergewölbe zur heutigen Lotzestraße verausgabt. Abgebrochen wurde auch die dortige Trinkstube des Rates. Was war aber das Hauptmotiv für den Bau des neuen Rathauses? Ein Schlüsselbeleg ist, dass das Baukostenbuch nicht den Bau des Rat-hauses bezeichnet, sondern den eines Hochzeitshauses. Das ausgehende 16. Jahrhundert bot einer städtischen Oberschicht, einem vor allen aus dem Handel gespeisten Reichtum. Standesgemäße Eheschließungen sollten diesen Wohlstand repräsentieren, doch arteten die Feier-lichkeiten bisweilen tumultartig aus. So schleppten Kinder und weniger Begüterte Speisen und Getränke nach Hause. Diesem und anderen Sittenverfall versuchte man, vor allem nach einer Rüge des gesamten Rates durch die herzogliche Regierung, mit einem, auch den Reichtum und das wachsende Selbstbewusstsein des Rates ausdrückenden Baues eines neuen Hochzeitshauses und dem Erlass einer strengeren Hochzeitsordnung gerecht zu werden. Von Friedrich Weitmann zu Georg Grossmann Hinsichtlich des Baues vertraute sich der Rat zunächst Friedrich Weitmann an. Unter seiner Regie und unter Anwerbung von Maurern aus dem Voigtland wurde der Rathausumbau in Angriff genommen und in großen Tei- len bis 1603 mit dem Richtfest abge- schlossen. Dann trat Georg Gross- mann (auch Crossmann), in heutiger Sprache ausgedrückt, als Architekt, Bauleiter und Generalunterneh- mer für den Weiterbau auf. Ihm und seinem Sohn wird die Neugestaltung der Nordfassade mit den Schmuckgiebeln zuge- schrieben. Wenn auch die genauen Hintergründe der Neukonzep- tion des Baues sich nicht erschließen lassen, so waren die Folgen unmittelbar nach der Fertigstellung und auch in jüngster Zeit noch spürbar. Auch wenn das Baukostenbuch 1609 geschlossen wurde, sind noch erhebliche Kosten in den Kämmerei-rechnungen der Fol- gejahre zu finden. Schon 1610 wurde das Tanzen im Hochzeitshaus in der oberen Halle verboten. Grund waren fehlende Stützen in bei- den Rathaushallen. 1619 wurden die beiden Hallen mit dem Ein-zug zusätzlicher Stützen statisch gesichert. Vor allem wurden die Lasten des komplexen Dachstuhls bis in jüngste Zeit nicht hinreichend auf das Mauerwerk und die Stützkonstruktionen abgeleitet. Grossmann stellte dem ursprünglich geplanten durchgehenden breiten Sattel- dach, ein nördliches Quer-dach mit den fünf Zwerchhäusern gegenüber. 1724 stürzte der mittlere Zier-giebel, samt seiner Figur auf Marktplatz und dem Altan, den die Mündener als „die Grad“ bezeichneten. Neben den der Umgestaltung geschuldeten stati- schen Kinderkrankheiten, gab es eine Fülle von Umbauten und An- passungen an ge-änderte Nutzungsanforderungen, die fast jeder Generation erhebliche Auf-wendungen für den baulichen Unterhalt und die Sanierungen abforderten. IBilder: Die allegorische Figur „Glaube“ vom Mittelgiebel der Nordfassade. Das Bild der Sanierung des Jahres 1975 demonstriert Handlungsbedarf. „RPR 1724“ deutet auf den Einsturz und den Wiederaufbau des Giebels in diesem Jahr hin. Böse Zungen könnten meinen: „1724 war der Glaube vom Rathaus abgefallen.“ Fotos: Gruber, Stadtarchiv Text: Stefan Schäfer, Stadtarchivar