Geschichtsverein Sydekum

Die Mühlenstraße vor 1910 mit dem Haus der Familie Spielmann, vermutlich aufgenommen im Auftrag der Kunstanstalt Carl Thoericht Münden. Alfred Hesse stellt uns das Haus Mühlenstraße 11 als saniertes Fachwerkhaus vor, das an die Umbauten von 1581 im Stile der Renaissance mit dem ausgekragten Erker erinnert.  Betrachten wir zuerst das Schwarz-Weiß-Foto. Es zeigt die Mühlenstraße mit der südlichen Bebauung bis zum Marktplatz und dem Haus Lange Straße 29. Die Gaslaterne links an der Hausnummer 10 und das Emaile-Schild „Hinterstraße“ am Eckhaus, der heutigen Nr. 11, geben uns wichtige Hinweise. 1902 führte die Stadt die Hausnummerierung nach Straßen ein. 1910 ließ der neue Eigentümer des Hauses Heinrich Vespermann einen Laden im Untergeschoss einbauen. Das vor 1910 entstandene Foto zeigt uns das Haus noch im Eigentum von Friedrich Spielmann, der es 1895 erwarb und einen Papierwarenhandel betrieb. Werner Gerber, Enkel von Heinrich Vespermann, entschloss sich später zur Freilegung des Fachwerks.1  Alfred Hesse nahm sich dieses Hauses in seiner ehrenamtlichen Funktion als Stadtbildpfleger an. Hierzu veröffentlichte er in der Fachzeit-schrift „Das Deutsche Malerblatt“ 1949 eine Zeichnung des Hauses, in der er die Wiederherstellung des Fachwerks anhand des Hauses Mühlenstraße 11 schilderte. „Wir hier in Münden arbeiten wie folgt: Sehr früh, wenn die Stadt noch schläft, wird mit einer Kolonne von 8 bis 10 Mann der alte Putz abgeklopft. Gegen Mittag ist schon der alte Lehm und das morsche Holzwerk abgefahren und die Straße gespült. Staunend stehen dann die Menschen vor einem Haus aus mittelalterlicher Zeit mit herrlichem Fachwerk.“ 2 Nun, wer selbst Erfahrungen mit der Wiederherstellung einer Fachwerkfassade gemacht hat, wird wohl beipflichten, dass die eigentliche Arbeit erst jetzt beginnt. Fäulnis durch Risse im Putz oft nicht erkannt, besonders an der Schwelle im Bereich lecker Dachrinnen können den Austausch ganzer Balken erfordern. Vor dem Verputzen des Hauses nahm man oft ein Beil zur Hand und setzte insbesondere dem geschnitzten Zierrat und den Hausinschriften schwer zu, denn der einst aufgetragene Putz sollte ja an den Balken haften. Hesse wollte aber in dem Artikel seine Fachkollegen, mehr noch die Hauseigentümer, beherzt ermuntern an die Arbeit heranzugehen. Der Vergleich des Hauses unter Verputz oder in Freilegung spricht eine eindeutige Sprache. Doch Fachwerk fordert immer wieder heraus. 1993 waren massive Schäden an den Balkenköpfen vom Sockel-geschoss zum ersten Ge-schoss aufgetreten. Eine bauliche Bestandsaufnahme der Schäden und eine umfassende Sanierung waren unvermeidlich.3  Auch nach dieser Sanierung erfolgten weitere Umbauten. Heute trägt das Haus mit den grauen Balken wiederum ein anderes Farbkleid.
Dieses Haus lässt, wie kein Zweites in unser Stadt, tief in seine Geschichte hineinblicken. Schon 1485 wird Hans Bruns als Abgabenpflichtiger Haus-besitzer genannt. 1520 beginnt die Geschichte der Lodewigs als Hauseigen- tümer. Prominent wurde vor allem Valentin Lodewig, ab 1568 war er Rats-herr und vor seinem Tod 1580 Bürgermeister der Stadt. Burkhard Mithoff war sein Schwiegervater. Dieser war ab 1539 Leibarzt von Herzog Erich I. Nachdem der Herzog 1540 auf dem Reichstag in Hagenau (Elsass) verstarb, setzte der seine Dienste für Herzogin Elisabeth fort und wurde zu deren engstem Berater und höfischen Rat. Er starb 1564 und wurde in St. Blasii beigesetzt. Sein Epitaph kann bis heute an der Ostwand des südlichen Seitenschiffs bewundert werden. Valentin Lodewig hatte dessen Tochter Elisabeth geheiratet. Erstaunlich ist, dass diese ein Jahr nach dem Tode ihres Mannes einen umfassenden Umbau des Hauses vornahm. Sie selbst starb 1593/94. Im Steinsockel des Hauses befindet sich ein Stein mit zwei Wappen und der Jahreszahl 1581. Links auf dem Stein befindet sich das Wappen der Lodewigs und mit den beiden gekreuzten Ankern das Wappen der Mithoffs. Dass wir heute, aus ganz unterschiedlichen Quellen gespeist, einen roten Faden durch die Nutzungsgeschichte ziehen können, verdanken wird der seit 2001 bestehenden Homepage „574 Häuserspuren“ www.mundenia.de, die von Rudolf Wegner aufgebaut wurde und von Holger Gruber nicht nur am Leben erhalten wird, sondern stets im Hintergrund ergänzt wird. Der Erhalt und die Rettung historischer Bausubstanz lohnt vor allem dann, wenn man die Hintergründe der Nutzungsgeschichte kennt. Text: Stefan Schäfer Repros: Stefan Schäfer, Stadtarchiv Anmerkungen: 1 Stadt Hann. Münden Hausbauakte Teilband 1. Die Bauanträge geben Hinweise auf die Nutzungs-- und Eigentümergeschichte. Die Akte enthält auch die Eigentumsübertragung auf Werner Gerber am 28.12.1934. Als dessen Beruf wird Kohlenhändler angegeben. Ein im Jahre 1938 verwendeter Briefkopf titelt: „J. Vespermann, Kolonialwaren, Obst- und Gemüse-, Kohlen- und Kartoffen-Handlung, Inhaber Werner Gerber.“ 2 Das Deutsche Malerblatt, Heft 10, Stuttgart; Okt. 1949 S. 443-445. 3 Mündener Allgemeine vom 12.07.1993 „Alte Fachwerkhäuser: Der Haken mit den Kragen“ und 30.10.1993 „Alte Pracht neu ent- facht“.

Geschichtliches

Mündener Häuser und Ihre Geschichte(n) Mühlenstraße 11 – Wenn der alte Putz abfliegt!

Aktuelle Veranstaltung

Donnerstag, 07. Dezember 2023 um 19 Uhr, Lepantosaal im Welfenschloss: „Flößerei - Leben und Arbeiten in einem alten Handwerk.“
Obwohl die Flößerei im Weserraum noch bis vor 85 Jahren betrieben wurde, ist sie weitge- hend in Vergessenheit geraten. Dies ist inso- weit befremdlich, war sie doch ein wichtiger Be-standteil der Holzversorgung vor allem des holzarmen Unterweserraums gewesen. Dielen- und Langholzflößerei werden bereits 1572 erwähnt. Für den Ferntransport des Holzes und für den Holzhandel kam bis Mitte des 19. Jh. nur der Wassertransport in Frage. So stellte Forstdirektor Burckhardt noch 1864 fest: „Schon Eisenbahnen beleben den Sägemühlen- betrieb, noch mehr aber der wohlfeile Wasser- weg.“ Dies ist deshalb beachtenswert, weil mit der Weserschifffahrtsakte 1823 eine grund- legende Änderung des Stapelrechts einge- treten war. In der folgenden Zeit entwickelte sich besonders Gimte zu einem reinen Flößer- dorf. Von den 286 Einwohnern im Jahr 1861 lebten 8 Holzhändler und 27 Holzflößer mit ihren Familien, zusammen 218 Personen, von dem Floß-Handel. Eine große Rolle spielte bei der Flößerei auch die Mitnahme von Waren als sogenannte „Ob- lasten". In den Akten des Mündener Stadt- archivs sind neben Glas und Eisen viele andere Oblast-Güter erwähnt, die weserabwärts transportiert wurden. Heute erinnern nur noch die Namen „Dielen- graben" in Münden und „Flößerweg" in Gimte an den ausgestorbenen Beruf des Flößers und an eine lange wirtschaftliche Verbindung mit Thüringen. Der Vortrag am 07. Dezember 2023 um 19 Uhr im Lepantosaal des Welfenschlosses von Stadt- archivar Stefan Schäfer soll die Flößerei, ihre Voraussetzungen, ihren Stellenwert sowie die Arbeit und Leben der Flößer näherbringen.
Geschichtsverein Sydekum

Aktuelle Veranstaltung

Donnerstag, 07. Dezember 2023 um 19 Uhr, Lepantosaal im Welfenschloss: „Flößerei - Leben und Arbeiten in einem alten Handwerk.“

Geschichtliches

Mündener Häuser und Ihre Geschichte(n) Mühlenstraße 11 – Wenn der alte Putz abfliegt!
Die Mühlenstraße vor 1910 mit dem Haus der Familie Spielmann, vermutlich aufgenommen im Auftrag der Kunstanstalt Carl Thoericht Münden. Alfred Hesse stellt uns das Haus Mühlenstraße 11 als saniertes Fachwerkhaus vor, das an die Umbauten von 1581 im Stile der Renaissance mit dem ausgekragten Erker erinnert.  Betrachten wir zuerst das Schwarz-Weiß-Foto. Es zeigt die Mühlenstraße mit der südlichen Bebauung bis zum Marktplatz und dem Haus Lange Straße 29. Die Gaslaterne links an der Hausnummer 10 und das Emaile-Schild „Hinterstraße“ am Eckhaus, der heutigen Nr. 11, geben uns wichtige Hinweise. 1902 führte die Stadt die Hausnummerierung nach Straßen ein. 1910 ließ der neue Eigentümer des Hauses Heinrich Vespermann einen Laden im Untergeschoss einbauen. Das vor 1910 entstandene Foto zeigt uns das Haus noch im Eigentum von Friedrich Spielmann, der es 1895 erwarb und einen Papierwarenhandel betrieb. Werner Gerber, Enkel von Heinrich Vespermann, entschloss sich später zur Freilegung des Fachwerks.1  Alfred Hesse nahm sich dieses Hauses in seiner ehrenamtlichen Funktion als Stadtbildpfleger an. Hierzu veröffentlichte er in der Fachzeit-schrift „Das Deutsche Malerblatt“ 1949 eine Zeichnung des Hauses, in der er die Wiederherstellung des Fachwerks anhand des Hauses Mühlenstraße 11 schilderte. „Wir hier in Münden arbeiten wie folgt: Sehr früh, wenn die Stadt noch schläft, wird mit einer Kolonne von 8 bis 10 Mann der alte Putz abgeklopft. Gegen Mittag ist schon der alte Lehm und das morsche Holzwerk abgefahren und die Straße gespült. Staunend stehen dann die Menschen vor einem Haus aus mittelalterlicher Zeit mit herrlichem Fachwerk.“ 2 Nun, wer selbst Erfahrungen mit der Wiederherstellung einer Fachwerkfassade gemacht hat, wird wohl beipflichten, dass die eigentliche Arbeit erst jetzt beginnt. Fäulnis durch Risse im Putz oft nicht erkannt, besonders an der Schwelle im Bereich lecker Dachrinnen können den Austausch ganzer Balken erfordern. Vor dem Verputzen des Hauses nahm man oft ein Beil zur Hand und setzte insbesondere dem geschnitzten Zierrat und den Hausinschriften schwer zu, denn der einst aufgetragene Putz sollte ja an den Balken haften. Hesse wollte aber in dem Artikel seine Fachkollegen, mehr noch die Hauseigentümer, beherzt ermuntern an die Arbeit heranzugehen. Der Vergleich des Hauses unter Verputz oder in Freilegung spricht eine eindeutige Sprache. Doch Fachwerk fordert immer wieder heraus. 1993 waren massive Schäden an den Balkenköpfen vom Sockel-geschoss zum ersten Ge-schoss aufgetreten. Eine bauliche Bestandsaufnahme der Schäden und eine umfassende Sanierung waren unvermeidlich.3  Auch nach dieser Sanierung erfolgten weitere Umbauten. Heute trägt das Haus mit den grauen Balken wiederum ein anderes Farbkleid.
Dieses Haus lässt, wie kein Zweites in unser Stadt, tief in seine Geschichte hineinblicken. Schon 1485 wird Hans Bruns als Abgabenpflichtiger Haus-besitzer genannt. 1520 beginnt die Geschichte der Lodewigs als Hauseigen-tümer. Prominent wurde vor allem Valentin Lodewig, ab 1568 war er Rats-herr und vor seinem Tod 1580 Bürgermeister der Stadt. Burkhard Mithoff war sein Schwiegervater. Dieser war ab 1539 Leibarzt von Herzog Erich I. Nachdem der Herzog 1540 auf dem Reichstag in Hagenau (Elsass) verstarb, setzte der seine Dienste für Herzogin Elisabeth fort und wurde zu deren engstem Berater und höfischen Rat. Er starb 1564 und wurde in St. Blasii beigesetzt. Sein Epitaph kann bis heute an der Ostwand des südlichen Seitenschiffs bewundert werden. Valentin Lodewig hatte dessen Tochter Elisabeth geheiratet. Erstaunlich ist, dass diese ein Jahr nach dem Tode ihres Mannes einen umfassenden Umbau des Hauses vornahm. Sie selbst starb 1593/94. Im Steinsockel des Hauses befindet sich ein Stein mit zwei Wappen und der Jahreszahl 1581. Links auf dem Stein befindet sich das Wappen der Lodewigs und mit den beiden gekreuzten Ankern das Wappen der Mithoffs. Dass wir heute, aus ganz unterschiedlichen Quellen gespeist, einen roten Faden durch die Nutzungsgeschichte ziehen können, verdanken wird der seit 2001 bestehenden Homepage „574 Häuserspuren“ www.mundenia.de, die von Rudolf Wegner aufgebaut wurde und von Holger Gruber nicht nur am Leben erhalten wird, sondern stets im Hin- tergrund ergänzt wird. Der Erhalt und die Rettung historischer Bausubstanz lohnt vor allem dann, wenn man die Hintergründe der Nutzungsgeschichte kennt. Text: Stefan Schäfer Repros: Stefan Schäfer, Stadtarchiv Anmerkungen: 1 Stadt Hann. Münden Hausbauakte Teilband 1. Die Bauanträge geben Hinweise auf die Nutzungs-- und Eigentümergeschichte. Die Akte enthält auch die Eigentumsüber- tragung auf Werner Gerber am 28.12.1934. Als dessen Beruf wird Kohlenhändler angegeben. Ein im Jahre 1938 verwendeter Briefkopf titelt: „J. Vespermann, Kolonial- waren, Obst- und Gemüse-, Kohlen- und Kartoffen-Handlung, Inhaber Werner Gerber.“ 2 Das Deutsche Malerblatt, Heft 10, Stuttgart; Okt. 1949 S. 443-445. 3 Mündener Allgemeine vom 12.07.1993 „Alte Fachwerkhäuser: Der Haken mit den Kragen“ und 30.10.1993 „Alte Pracht neu entfacht“.